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News des Tages: Abschiebung, Gregor Gysi vs. Sahra Wagenknecht, Schiffsunglück in der Nordsee

1. Die Härte der Asyldebatte

Die Bundesregierung hat sich heute auf schärfere Regeln für Abschiebungen geeinigt und einen entsprechenden Gesetzentwurf gebilligt. Der Bundestag muss dem noch zustimmen. Und SPD-Innenministerin Nancy Faeser feiert sich dafür, schon mit den bisherigen Regeln die Zahl der Abschiebungen gesteigert zu haben, um rund 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die absoluten Zahlen klingen deutlich weniger beeindruckend: Im ersten Halbjahr 2022 waren es 6198, dieses Jahr 7861. Insgesamt geht es laut Ministerium um etwa 50.000 ausreisepflichtige Menschen. (Hier mehr.)

Die Asyldebatte ist längt zur Asylbeschränkungsdebatte mutiert: Wer schafft mehr Rückführungen? Wer beschneidet die Rechte von Flüchtlingen schärfer? Wer begrenzt Migration effizienter?

Es wirkt, als lieferten sich Regierung und Opposition einen Überbietungswettbewerb. Der Kanzler sagt im SPIEGEL-Gespräch, er wolle »endlich in großem Stil« abschieben  . CDU-Chef Merz poltert, die SPD hätte besser auf Thilo Sarrazin hören sollen, statt ihn auszuschließen (zur Erinnerung: Sarrazin sagte einst, für »70 Prozent der Türken und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung« gelte, sie würden vom Staat leben, diesen Staat ablehnen, für die Ausbildung ihrer Kinder nicht vernünftig sorgen und »ständig neue kleine Kopftuchmädchen produzieren«). Und dann meldet sich auch noch Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU und fordert, »irreguläre Migrationsbewegungen« gegebenenfalls »mit physischer Gewalt« aufzuhalten (hier mehr). Was kommt als Nächstes, eine Talkrunde zur Frage, ob Fußtritte beim Zurückstoßen von Flüchtlingen okay sind? Oder soll man es lassen?

»Gewalt ist an Europas Außengrenzen längst Alltag«, sagt mein Kollege Steffen Lüdke, der schon lange über das Thema berichtet. »Schon jetzt verrät die EU immer wieder jene Werte, für sie die eigentlich stehen will. Wer nun so tut, als gäbe es diese Gewalt nicht längst, als müsste man nur noch härter draufschlagen, redet einer weiteren Eskalation das Wort.« (Hier mehr dazu .)

In der letzten Flüchtlingskrise 2015 trat die AfD eine Verrohungskampagne los, um dem Land die Willkommenskultur auszutreiben und ihm die Empathie abzutrainieren. Vom Schießbefehl an den Außengrenzen war die Rede; man dürfe sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen. »Damals war die Empörung zurecht groß«, sagt meine Kollegin Maria Fiedler aus unserem Hauptstadtbüro. »Seitdem hat sich der Ton in allen Parteien verschärft.« Sie hat den Eindruck, Spahn habe sich in einem Podcast zu einer unbedacht scharfen Wortwahl hinreißen lassen und mahnt zur Besonnenheit: »Sonst nutzt es nur der AfD.«

2. Gysi vs. Wagenknecht

Nein, die Pressekonferenz von Sahra Wagenknecht habe er nicht geschaut, sagt Gregor Gysi, einer der Gründungsväter der Linken: »Ich bin 75 und habe schon drei Infarkte hinter mir«. Einen vierten könne er nicht gebrauchen.

Hier Kernsätze aus dem Interview, das mein Kollege Timo Lehmann und meine Kollegin Maria Fiedler mit ihm geführt haben:

  • »Wagenknecht will Flüchtlingspolitik machen wie die AfD. Sie will Wirtschaftspolitik machen wie Ludwig Erhard und Sozialpolitik wie die Linke, mal sehr grob gesprochen.«

  • »Ein kurzer Erfolg ist zwar möglich, aber er wird verfliegen.«

  • »Sie und ihre Mitstreiter begehen eine Art Diebstahl. Sie nehmen ihre Bundestagsmandate mit. Das steht ihnen nicht zu.«

  • »Ihre Gruppe sagt, sie stehe für soziale Gerechtigkeit. Sie nimmt aber in Kauf, dass wir Leute entlassen müssen.«

  • »Ich gehöre meiner Partei seit 1967 an. Es gibt für mich keine andere.«

  • »Ich hatte sie schon fast so weit, dass sie bleibt!«

Lesen Sie hier das ganze Interview: »Mit einem so unehrenhaften Diebstahl zu beginnen, finde ich völlig daneben« 

3. Das Ende der Rettungsmission bei Helgoland

Vier Seeleute werden nach einem Zusammenstoß zweier Frachter vor Helgoland weiter vermisst. Doch die Rettungskräfte haben die Suche heute eingestellt. Wer trifft diese Entscheidung – und auf Grundlage welcher Daten? »In diesem Fall das Havariekommando«, berichtet meine Kollegin Sabrina Knoll.

In der Regel ist für Suche und Rettung von Menschen auf Nord- und Ostsee die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zuständig. Koordiniert werden diese Einsätze in Bremen, von der deutschen Rettungsleitstelle See. Dort sitzen die Einsatzleitenden. »Geht es bei einem maritimen Unglück aber absehbar über die Rettung von Menschenleben aus Seenot hinaus, muss etwa auch ein Wrack geborgen oder ein Umweltschaden bemessen werden, dann übernimmt das Havariekommando die Gesamteinsatzleitung.« Zu den Kriterien zählen: Wie sind die Bedingungen vor Ort? Wie viel Zeit ist verstrichen? Wie sicher ist der Einsatz? »Bei Wassertemperaturen von zwölf Grad geht man unter optimalen Bedingungen von einem Zeitfenster von maximal 20 Stunden aus«, schreibt Sabrina. Die sind lange verstrichen.

Podcast Cover

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in Nahost finden Sie hier:

  • 13 Angriffe auf US-Stützpunkte in Syrien und Irak In den vergangenen Tagen sind laut Pentagon mehrfach Stellungen von US-Soldaten und der Anti-IS-Koalition angegriffen worden. Bewaffnete irannahe Gruppen hatten zuvor mit Attacken gedroht.

  • Entsetzen in Israel wegen Guterres-Äußerung – Bundesregierung zurückhaltend: »Nicht im luftleeren Raum«: Nach einer Aussage über den Überfall der Hamas bekommt António Guterres herbe Kritik aus aller Welt, aber auch Unterstützung. Der Uno-Generalsekretär spricht unterdessen von »Fehlinterpretationen«.

  • Staatssekretärin muss wegen israelkritischen Posts früher gehen: Marjam Samadzade hat scharfe Kritik an Israels Regierung online weiterverbreitet – und muss deswegen ihren Posten nun früher räumen. Eine Nachfolgerin für die Staatssekretärin in Kiel steht schon bereit.

  • Rania von Jordanien wirft dem Westen »eklatante Doppelmoral« vor: In einem CNN-Interview hat die jordanische Königin die Reaktion des Westens auf Israels Bombardement von Hamas-Stellungen im Gazastreifen verurteilt. Sie stellt sich klar auf die Seite der Palästinenser.

  • Der Konflikt in Karten und Grafiken Wie verlief der Terrorangriff der Hamas? Wo schlägt Israel zurück? Die wichtigsten Entwicklungen im Gazastreifen und in Israel, fortlaufend aktualisiert in Karten und Visualisierungen .

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen: Das News-Update

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Russlands Verteidigungsminister Schoigu besucht Posten in der Ukraine: Es ist ein seltener Besuch: Moskaus Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat laut Militärangaben russischen Soldaten einen Frontbesuch abgestattet. Demnach ging es um Drohneneinheiten und die Vorbereitung auf den Winter.

  • Sechs Millionen Deutsche leiden unter schlechtem Schlaf: Schlafstörungen können das Risiko für viele chronische Krankheiten erhöhen. Eine neue Auswertung zeigt nun: In einer Altersgruppe sind fast doppelt so viele Menschen betroffen wie noch vor zehn Jahren.

  • Bundesregierung beschließt Gesetz für einheitliche Ladestecker: Die »Tage des Chaos« sind gezählt, glaubt Wirtschaftsminister Habeck: Ab Dezember 2024 müssen Smartphones, Kopfhörer und viele andere in Deutschland verkaufte Elektrogeräte einen USB-C-Ladeanschluss haben.

  • Deutsche können gut 26.000 Euro ausgeben: Ob für Essen, Wohnen oder Mobilität: Jeder Deutsche hat durchschnittlich 26.271 Euro zur Verfügung. Das ist weit weniger als Luxemburger oder Schweizer – und weit mehr als der europäische Durchschnitt.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • »Amerika kann den Europäern nicht immer den Rücken freihalten« Deutschland muss angesichts der Kriege in der Ukraine und Nahost mehr in die Verteidigung investieren, fordert Kenneth Rogoff. Der Harvard-Ökonom glaubt an einen Sieg des Westens – doch der Preis dafür sei hoch .

  • Elterntaxis hassen diesen Trick: Ohne Auto geht es nicht auf dem Land? In der Umgebung von Hannover offenbar schon, zumindest immer öfter. Dort bewegt ein besonderer Fahrdienst die Massen – und expandiert jetzt kräftig .

  • Was muss in die Tonne und was geht noch? Ernährungsminister Cem Özdemir schlägt vor, das Mindesthaltbarkeitsdatum für Produkte wie Tee, Honig und Reis abzuschaffen. Was die Kennzeichnung überhaupt aussagt, was nicht – und wann man sich auf seine Sinne verlassen kann .

Was heute weniger wichtig ist

Schweiger-Gelübde: Schauspieler und Regisseur Til Schweiger, 59, hat sich erstmals ausführlich zur heftigen Kritik an seinem Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geäußert. Dem »Stern« sagte er: »Ich möchte nicht, dass jemand Angst vor mir hat.« Auch über seine Alkoholprobleme sprach er und erklärte, er sei in Therapie. Er habe gelernt, dass er nicht mehr die Kontrolle verlieren dürfe. »Ich werde bald 60. Ich will jetzt keine Zeit mehr verlieren, ich will ein besserer Mensch werden.«

Mini-Hohlspiegel

Von ad-magazin.de: »Sprechen Sie Ihr Vorgehen immer mit Ihrem durchführenden Schädlingsbekämpfer ab, um durch fehlerhaftes Vorgehen einen Rückfall des Bettwanzenbefalls zu riskieren.«

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Und heute Abend?

Könnten Sie ins Kino gehen und den neuen Film von Margarethe von Trotta gucken, er heißt »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« und läuft seit einigen Tagen. Er spielt in den späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren und handelt von der Liebesbeziehung zwischen der in Klagenfurt geborenen Bachmann und dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch.

»Aber er erzählt auch von der Filmemacherin selbst: von ihrer Bewunderung für Regisseure wie Alfred Hitchcock oder David Lean, die sie in ihrem Film zitiert«, schreibt mein Kollege Lars-Olav Beier. »Von ihrer Liebe zu Paris, wo sie eine für ihre Verhältnisse ungewohnt romantische Szene spielen lässt. Von ihren eigenen Erfahrungen in einer Künstlerehe. Und von den Kämpfen, die sie als Frau in einer Männerwelt austragen musste.« (Hier mehr .)

Ich wünsche Ihnen einen erholsamen Abend. Herzlich

Ihr Oliver Trenkamp, Blattmacher in der Chefredaktion