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Max Verhas, der Formenerfinder: Warum Skulpturen uns glücklich machen

"New eMotion" heißt die Ausstellung - Bewegung und Gefühl. Genau das vermitteln die Skulpturen von Max Verhas. Den Berliner Künstler, Erfinder der "Rollkörper", fragt ntv.de danach, was das Faszinierende an Skulpturen ist. Er gibt viele kluge Antworten.

Verhas' Skulpturen entstehen "aus dem Machen", ohne Zeichnung. Mit Gips allerdings spielt er gern.
Verhas' Skulpturen entstehen "aus dem Machen", ohne Zeichnung. Mit Gips allerdings spielt er gern.

Verhas' Skulpturen entstehen "aus dem Machen", ohne Zeichnung. Mit Gips allerdings spielt er gern.

(Foto: Verhas/ Friedmann Hahn (Big Laokoond, 2023, 70 x 95 x 80 cm, Bronze Ed. 5))

Der für seine Rollkörper bekannte Künstler Max Verhas zeigt in der Berliner Galerie Friedmann Hahn eine Auswahl neuer Arbeiten: Endlos verschlungene Bänder aus matter oder hochglanzpolierter Bronze, mal organisch geformt, mal scharfkantig und architektonisch. Wenn man die Skulpturen dreht, entsteht sofort etwas Neues vor dem Auge des Betrachters. Jeder sieht etwas anderes: ineinander verschlungene Finger, parallel laufende Linien, Körper, die sich treffen oder auch nicht. Immer ist man geneigt, die Skulpturen anfassen zu wollen, und genau dafür - beziehungsweise gegen die Oxidation - liegen extra Handschuhe bereit, denn das Material würde nach dem Körperkontakt anfangen zu reagieren. "Patina ist nichts Schlechtes", gibt Verhas zu bedenken, "die Skulptur soll ruhig leben und altern." Sein Galerist lacht. Ist schon gut, wenn die Objekte in der Ausstellung noch etwas länger ohne Patina auskommen, sollen ja gekauft werden. Aber anfassen will man Skulpturen eigentlich immer.

Etwas ganz anderes, Ungewöhnliches für den Künstler wird auch gezeigt: die Serie "Open Houses". Kleine, kubische Kunstwerke, mit Ecken und Kanten, so groß wie sehr extrovertierte Briefbeschwerer, erinnern an Häuser. Und so abstrakt es auch erscheint: Der geneigte Betrachter weiß sofort, welche Haus in Athen, in Rom oder in Japan stehen könnte, welches an die Neue Nationalgalerie in Berlin erinnert oder an ein Fachwerkhaus! Paare stehen davor und können sich nicht entscheiden, welches "Haus" sie nehmen wollen - vor allem, wenn es gedreht wird. Auch hier: Eine völlig neue Perspektive entsteht, und der Fantasie, gedanklich in die Ferne zu reisen, sind keine Grenzen gesetzt.

Große Liebe zu Metall

Aus dem Lateinischen sculpere - also schnitzen oder meißeln. Ein dreidimensionales Werk der Bildenden Kunst.
Aus dem Lateinischen sculpere - also schnitzen oder meißeln. Ein dreidimensionales Werk der Bildenden Kunst.

Aus dem Lateinischen sculpere - also schnitzen oder meißeln. Ein dreidimensionales Werk der Bildenden Kunst.

(Foto: Verhas/ Friedman Hahn (Japanese Open House, 2023, 10 x 10 x 10 cm, Bronze, Ed. 25))

Max Verhas hat eine klassische, figürliche Skulpturen-Ausbildung genossen, "was mir immer wieder zugutekam, weil mir Technik und Anatomie beigebracht wurden". Und woher kommt die Liebe zum Metall? Ganz einfach, er musste am Anfang seiner Karriere Geld verdienen - und hat in einer Werkzeugbaufirma gearbeitet. Das Arbeiten mit Metall ist wesentlich technischer, als wenn man mit Ton oder Holz arbeitet, es dauert auch länger - aber für Verhas war Metall DIE Entdeckung und wurde zur großen Liebe. Der aus einem Künstlerhaushalt stammende Essener hat dementsprechende Oberarme, ganz nebenbei bemerkt. Erst zog es ihn nach Nürnberg, dann nach Berlin. Dort lernte er bei David Evison, was eine Stahlskulptur ausmacht. "Erstmal ging es darum, aus Resten etwas Ganzes herzustellen." Aber das genügte irgendwann nicht mehr.

Es folgte die Zeit, in der der mittlerweile 63-Jährige sich in sein Atelier zurückzog - und Anfang der 1990er Jahre den Rollkörper erfand. "Fragen Sie mich bitte nicht, wie das passiert ist, es ist einfach so entstanden", sagt er im Gespräch mit ntv.de. "Der Rollkörper Nummer Eins ist die wichtigste Skulptur in meinem Leben."

Selbst wenn diese Objekte mannshoch sind, sie lassen sich durch leichtes Anstoßen fortbewegen. Ist das die Faszination daran? Etwas nicht nur angucken zu können wie ein Bild? Ist es das Dreidimensionale, das an uns Menschen erinnert, was den Betrachter magisch in den Bann zieht? "Ich glaube, es ist das Dahinterschauen. Dass ich alle Seiten betrachten kann. Das interessiert mich jedenfalls an Skulpturen." Etwas Statisches, wie eine Michelangelo-Figur, interessiert ihn also nicht? "Ich habe immer den Reiz, etwas vom Sockel stoßen zu wollen", lacht Verhas. "Die Forderung in der Renaissance war, dass eine Skulptur von allen Seiten schön - beziehungsweise überzeugend - zu sein hat. Und in Michelangelos Fall auch, dass sie nicht kaputtgeht. Er hatte sehr hohe Ansprüche an sich und sein Werk."

Jeder einzeln für sich und doch untrennbar - das bietet Raum für Interpretationen.
Jeder einzeln für sich und doch untrennbar - das bietet Raum für Interpretationen.

Jeder einzeln für sich und doch untrennbar - das bietet Raum für Interpretationen.

(Foto: Verhas/ Friedmann Hahn (Two Big Rolling Rings, 2022, 100 x 80 x 80 cm, Bronze, Ed. 5))

Wenn wir Menschen etwas verstehen wollen, dann ist das Synonym dafür ja auch "begreifen", es ist wie bei kleinen Kindern, die sich die Welt ertasten, erfühlen, erschmecken. Es ist vielleicht eine Art Urinstinkt, der uns an Skulpturen fasziniert. "Das haptische Erleben einer Skulptur ist enorm wichtig", sagt Verhas, der sich gern treiben lässt. Manchmal regen ihn seine älteren Skulpturen zu neuen Formen an, er will die Dinge weiterentwickeln, "wie die beiden Ringe. Es gibt sehr viele Lösungen, wie man zwei Ringe miteinander verbindet."

Nur ausgeliehen, aber edel

Sein Galerist, Alexander Friedmann-Hahn, sieht die Beständigkeit des Künstlers als Erfolgsfaktor. "Diese sensationelle Materialität, das ist etwas ganz Eigenes, sehr Schönes. Eine Qualität wie die von Max' Werken, die muss man lange suchen." Und dann noch der Wiedererkennungswert: "Max haut auf dieselbe Stelle, und trotzdem ist jedes Mal ein neuer Dreh dabei", schwärmt der Galerist. Aber: "Es braucht ein gewisses Alter in der Kunstwelt, um sich als Bildhauer durchzusetzen", gibt er zu bedenken.

Vielleicht muss man erst einmal erkennen, dass eine Skulptur etwas Solides, etwas Bleibendes ist. Und wenn es dann auch noch edel ist, dann ist es wie in der Werbung für die Luxus-Uhr von Patek Philippe : "Man leiht es sich nur aus, und gibt es irgendwann der nächsten Generation." Beide Männer sind sich einig, dass Kunst etwas für die Unsterblichkeit ist, in Verhas' Fall auch für die Unendlichkeit.

Es gibt Kunst, die aufrüttelt, und es gibt Kunst, die schön ist, glänzend und anziehend. Für Verhas sind seine Objekte, vor allem die Rollkörper, auch "eine Bewältigung unseres paradoxen Lebens. Sich Sachen von allen Seiten ansehen zu können, fördert das Verstehen. "Das Leben ist komplex, Figuren sind komplex." Aber nein, er hat keine politische Message, außer: "In der Kunst ist alles erlaubt." Sein Traum? "Die Skulpturen begehbar zu machen, hausgroß", lacht er. Das wäre was! Solange das aber niemand finanziert, strebt er weiter nach Harmonie - selbst, wenn das nie sein Plan war.

Die Ausstellung geht bis zum 4. November