Die Ampelkoalition versucht, mit dem neuen Gesetz zu Abschiebungen Handlungsfähigkeit zu zeigen. Für ihre Verhältnisse bringt sie das Paket nahezu geräuschlos über die vorläufige Ziellinie. Damit gibt sie auch Forderungen der Union nach. Doch die macht weiter Druck.
An diesem Morgen ist CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann gnadenlos: "Nichts" tue die Ampel gegen die Migration, schimpft er im ZDF. 50 Tage seien vergangen seit Bundeskanzler Olaf Scholz einen Deutschlandpakt angeboten habe. Passiert sei "nichts". Linnemann wurde auch deshalb auf seinen Posten berufen, weil er verbal so gut auf den Tisch hauen kann. Er spricht zudem mit dem Rückenwind aus zwei Wahlsiegen, in Hessen und Bayern, und steigenden Umfragewerten im Bund.
Die Union versucht, die Regierung vor sich her zu treiben. Dafür bietet sich das Thema Migration an. Es ist zwar gnadenlos übertrieben, dass die Regierung nichts tue, um die Zuwanderung zu begrenzen. Sie hat Grenzkontrollen an den Grenzen zur Schweiz, zu Polen und Tschechien eingeführt, auf europäischer Ebene ein neues Asylsystem namens GEAS ausgehandelt, arbeitet an Rückführungsabkommen mit mehreren Ländern und gerade erst hat Kanzler Olaf Scholz im "Spiegel" gesagt, dass nun endlich im großen Stil abgeschoben werden müsse. Und doch wird sie das Etikett "Zu wenig, zu spät" kaum los.
Gehetzt wirkt Innenministerin Nancy Faeser an diesem Vormittag nicht, als sie das neue Abschiebegesetz vorstellt. Ihr Haus hat sich mit dem Thema einige Zeit gelassen. Schon am 10. Mai hatten Bundesregierung und Länder vereinbart, diese Maßnahmen zu beschließen. Der Staat bekommt nun mehr Befugnisse, um Menschen ohne Bleiberecht abzuschieben. Mehrfach sagt die SPD-Politikerin, das Gesetz zeige, wie gut die Koalition zusammenarbeite. Das ist wohl der Versuch, der miesen Stimmung gegenüber der Ampel etwas entgegenzusetzen.
Keine epischen Schlachten
Immerhin: In dieser Frage ging es tatsächlich einmal ohne großen Krach - trotz des hochemotionalen Themas. Auch diesmal beschwerten sich zwar ein paar SPD- und Grünen-Politiker der zweiten Reihe, doch epische ampelinterne Schlachten wie im Frühjahr beim Heizungsgesetz und im Spätsommer zur Kindergrundsicherung blieben aus.
Das könnte auch daran liegen, dass dieses Paket wohl keine großen Konsequenzen haben wird. Wie ntv aus dem Innenministerium erfuhr, tut man sich sehr schwer, die Folgen der Maßnahmen einzuschätzen. Im Gesetzentwurf heißt es vorsichtig, dass die Zahl der Abschiebungen um 600 steigen werde. Wenn es gut läuft, vielleicht auch auf 1500. Das ist eine Steigerung von fünf bis zehn Prozent im Vergleich zu den beiden Vorjahren als je 12.000 Abschiebungen erfolgreich waren. Allein in diesem Jahr wurden schon mehr als 230.000 Asylanträge gestellt - gut die Hälfte davon wurde positiv beschieden.
Soll das der große Stil sein, den Scholz ankündigte? Wohl kaum. Der größere Stil würde erst möglich, wenn mehr Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt würden und mehr Rückführungsabkommen mit Heimatländern abgeschlossen würden. Doch so ein Rundumschlag hätte sicher wieder für mehr Streit in den eigenen Reihen gesorgt. So bot die Koalition für die Union erneut Angriffsfläche, obwohl der Tag das Zeug zu einer Flucht nach vorn gehabt hätte.
Doch dabei war gar nicht viel mehr zu erwarten gewesen. Tatsächlich sind die Rückführungen nicht die Stellschraube, um die Zuwanderung in den Griff zu bekommen. Laut aktuellen Zahlen aus dem Bundesinnenministerium sind derzeit 255.000 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig.Davon werden aber 205.000 geduldet, nur 50.000 müssen tatsächlich ausreisen. Das sind nicht wenige, aber an der Gesamtsituation wird sich wenig ändern. Die Probleme bei Unterkunft, Schule und Kita und Integrationskursen bleiben.
Dann ist da noch der Deutschlandpakt
Faeser versucht, den kleinen Wurf etwas größer wirken zu lassen. Sie stellt ihn in einen Zusammenhang mit anderen Gesetzen der Ampel: Das Chancenaufenthaltsrecht, das mit Deutschkenntnissen und Arbeitsplatz ermöglicht, ein Bleiberecht zu bekommen. Dazu kommt das neue Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung, das legale Wege nach Deutschland eröffnet. Und schließlich das Staatsbürgerschaftsrecht, das die doppelte Staatsbürgerschaft endgültig ermöglicht und es leichter macht, den deutschen Pass zu bekommen.
Und was wird aus dem Deutschlandpakt zur Migration? Gerade erst hat Scholz CDU-Chef Friedrich Merz einen Brief geschrieben, in dem er ihm vage eine Zusammenarbeit in Aussicht stellt. Merz hatte Scholz neulich bei einem Abendessen 26 Forderungen übergeben. Dazu gehören eine erweiterte Liste sicherer Herkunftsländer, Rückkehrzentren zu errichten, Familiennachzug einzuschränken und eine Obergrenze für die Aufnahme zu definieren.
Das alles ist schwere Kost für Teile von SPD und Grünen, die Ende November und Anfang Dezember noch Bundesparteitage vor der Brust haben. Eine strengere Migrationspolitik wird dort zu heißen Diskussionen führen. Scholz hat also wenig Spielraum. Derweil dürften die Attacken der Union weiter gehen. Denn im kommenden Juni ist Europa-Wahl. Sinken die Flüchtlingszahlen bis dahin nicht, wären das blendende Bedingungen für die AfD und die Wagenknecht-Partei - und weiter hohe Zuwanderung würde auch auf die Merz-Partei zurückfallen. So gesehen haben die Ampel und die Union ein gemeinsames Interesse. Ob sie es erkennen, ist eine andere Frage.