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Klinik-Explosion in Gaza: Warum Israels Beweisvideo kein Beweis ist

Israel stützt sich bei der Aufarbeitung der Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus im Gazastreifen auch auf das Video eines TV-Senders. Doch das zeigt offenbar einen anderen Vorfall. Trotzdem bleibt ein israelischer Luftangriff auf das Krankenhaus unwahrscheinlich.

Noch immer ist unklar, wie es zu der tödlichen Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt vor rund einer Woche kam. Palästinenser und die israelische Regierung geben sich gegenseitig die Schuld. Die Faktenlage ist dünn, sodass vor allem anhand von Foto- und Videoaufnahmen versucht wird, die Ereignisse zu rekapitulieren. Häufig wurde von israelischer und US-amerikanischer Seite ein Video aus dem Livestream des TV-Senders Al-Dschasira herangezogen, um aufzuzeigen, dass ein Geschoss aus Gaza die Ursache war. Als Beleg dafür ist dieses Video aber kaum haltbar.

Die Aufnahmen von Al-Dschasira zeigen ein Projektil, das in der Luft explodiert. Kurz darauf ist eine weitere Explosion zu sehen, mutmaßlich am Al-Ahli-Krankenhaus. Offizielle israelische Accounts posteten das Video mehrfach auf X, zahlreiche Medien berichteten darüber. Nach israelischer Lesart ist darauf eine palästinensische Rakete zu sehen, die aufgrund einer Fehlfunktion abgestürzt sei und so die Explosion am Krankenhaus verursacht habe.

Bereits vor einigen Tagen kamen Zweifel an dieser Version auf. Am Sonntag schrieb der Datenexperte Oliver Alexander auf X, das Video zeige eine vom israelischen Raketenabwehrsystem Iron Dome abgefeuerte Rakete. Die Detonation verortete er auf Grundlage von Satellitenbildern nicht nahe dem Krankenhaus, sondern im Grenzgebiet von Gaza und Israel.

"NYT": Explosion kilometerweit weg

Eine Analyse der "New York Times" ("NYT") deckt sich nun weitestgehend mit den Angaben Alexanders. Demnach sei das in der Aufnahme zu sehende Geschoss im etwa drei Kilometer vom Krankenhaus entfernten Grenzgebiet explodiert. Ferner habe eine Rückverfolgung der Flugbahn ergeben, dass die betreffende Rakete aus der Nähe der israelischen Stadt Nahal Oz in Richtung Gaza abgefeuert wurde.

Zwar konnte die "NYT" das Geschoss nicht abschließend identifizieren, hält es aber für durchaus möglich, dass es aus einem Iron-Dome-Abwehrsystem stammt. Ein solches System stehe im ermittelten Abschussgebiet. Das Projektil aus der Al-Dschasira-Aufnahme sei überdies zu einem späteren Zeitpunkt abgefeuert worden als die palästinensischen Raketen, die nach Aussage Israels für die Klinik-Explosion verantwortlich sind.

Sergej Maier vom Verifizierungsteam von RTL und ntv hielt die aus dem Al-Dschasira-Video abgeleitete Erklärung Israels zunächst für plausibel. Dann aber veröffentlichte ein Kameramann von Al-Dschasira ein weiteres Video. Es zeigt die Szene aus nahezu identischer Position wie das erste Video, setzt aber etwas früher ein. Der mutmaßliche Abschussort sei dadurch besser zu erkennen. Maier schließt daraus, dass der Standort viel weiter östlich sein müsse, als es den Anschein hatte.

Israel bestreitet Iron-Dome-Einsatz

"Im Al-Dschasira-Video ist höchstwahrscheinlich keine Hamas-Rakete zu sehen, sondern eine Iron-Dome-Rakete, die zwar im Grenzgebiet zu Gaza, aber im israelischen Luftraum etwas abschießt", sagt Maier. Der Abschuss am Himmel und die Explosion am Krankenhaus stehen demnach in keinem Zusammenhang. Davon geht auch die "NYT" aus. Das israelische Militär hingegen bestreitet gegenüber der Zeitung, zum besagten Zeitpunkt und im besagten Gebiet Abfangraketen abgefeuert zu haben.

Doch auch wenn das Al-Dschasira-Video offenbar keine palästinensische Rakete zeigt, heißt das nicht, dass ein israelischer Angriff auf das Krankenhaus dadurch wahrscheinlicher wird. Die "New York Times" schreibt, dass wenige Minuten vor der Explosion militante Palästinenser Dutzende Raketen südwestlich der Al-Ahli-Klinik abgefeuert hätten. "Die feurige Explosion im Krankenhaus deutet auf eine fehlgeschlagene Rakete hin, die ihr Ziel mit nicht verbrauchtem Treibstoff weit verfehlte", heißt es.

Das analysierte Filmmaterial suggeriere jedoch auch, dass etwa zur gleichen Zeit israelische Bombardements stattgefunden haben. In der Nähe des Krankenhauses seien Explosionen erkennbar. Major Nir Dinar, ein israelischer Militärsprecher, sagte der "NYT", die Luftschläge hätten das Krankenhaus nicht gefährdet. Wie weit diese davon entfernt waren, konkretisierte er nicht.

Israelischer Angriff unwahrscheinlich

Gegen einen israelischen Beschuss sprechen zudem die nach der Explosion entstandenen Aufnahmen. Statt einem oder mehrerer großer Krater ist nur ein kleineres Einschlagsloch zu erkennen. Ein israelischer Angriff, wie von der Hamas behauptet, hätte wohl noch schwerere Schäden nach sich gezogen. Auch Überreste israelischer Munition konnte die Hamas bislang nicht vorlegen.

Aber könnte nicht auch ein israelischer Iron-Dome-Querschläger für die Explosion verantwortlich sein? Der österreichische Oberst Markus Reisner hält das für unwahrscheinlich. Grundsätzlich würden die Iron-Dome-Raketen nur jene Geschosse treffen, "die eine mögliche Gefährdung für die israelische Seite darstellen", sagt er ntv.

"Der Abschuss erfolgt meistens über israelischem Territorium." Das habe technische Gründe, da das Abwehrsystem laut Reisner zunächst Zeit braucht, die Flugbahn der feindlichen Rakete zu berechnen. Nach einem erfolgreichen Abschuss würden sich Iron-Dome-Raketen in der Regel selbst zerstören und gar nicht erst auf dem Boden aufprallen.

Festzuhalten ist: Das von Israel vorgelegte Al-Dschasira-Video stützt das Szenario einer palästinensischen Verantwortung an der Explosion nicht. Und trotzdem bleibt die Version einer fehlgeleiteten Rakete militanter Palästinenser die derzeit plausibelste. "Auch wenn es noch keinen eindeutigen Beweis dafür gibt, was auf dem Parkplatz des Krankenhauses passiert ist, lässt sich der Schaden dennoch am ehesten auf einen Raketenabsturz zurückführen", schreibt auch Datenexperte Alexander auf X.